(DE) Man braucht Freiheit, um Neues zu wagen

(DE) Michael Reinboth (Compost Records) und Jan Beckers (CEO HitFox Gruppe), 2015

(DE) Was haben sich ein Visionär der neuen elektronischen Musik und einer der erfolgreichsten deutschen Unternehmensgründer zu erzählen? Michael Reinboth, Gründer des legendären Labels Compost Records, und Jan Beckers, CEO der HitFox Group, teilen auf jeden Fall die Liebe zur Musik, mit der alles begann: Reinboth wurde in Hannover zum DJ, Beckers in Münster zum Eventmanager und bald darauf zum Shootingstar unter den Berliner Internetunternehmern. Hier sprechen sie über alles, was sie verbindet: die Mischung aus Regelwerk und Improvisation, wie sie der Jazz hervorgebracht hat, die Rolle von Inkubatoren und Plattenlabels, die Widerstandskraft der analogen Medien und die Zukunftschancen der digitalen.

(DE) Michael Reinboth: Ich habe 1980 in Hannover aufgelegt, dann in München. Im berühmten P1 war ich Resident DJ. Meine Hauptveranstaltung, jeden Freitag, hieß „Into Somethin’ “. Dann kam mir die Idee, ein Label zu gründen. Diversifizierung ist wichtig, Mut zum Experiment. House, Techno, Drum & Bass, Hip-Hop, NuJazz: Wir haben alle Styles der 90er- und 2000er- Jahre mitgemacht und unser musikalisches Programm immer erneuert.

Beckers: Hätte dir die Musik nicht gefallen, die du gespielt hast, hättest du sie nicht vermarkten können. Man muss als Unternehmer hinter seinem Produkt stehen.

Reinboth: Auf jeden Fall. Bei mir waren es das Label und die Veranstaltungen: auflegen und dabei sein, den direkten Draht zu den Leuten haben. So haben wir auch Produzenten kennengelernt. Wie lange braucht ein Start-up heute, um sich ein Standing zu erobern?

Beckers: Standing hat, wer kontinuierlich liefert. Auch bei uns reicht es nicht, einen One- Hit-Wonder zu landen. HitFox ist jetzt vier Jahre alt. Wir haben als Start-up angefangen und über die Zeit bewiesen, dass wir gut darin sind, Unternehmen aufzubauen. Heute gehören 15 Tochterunternehmen zu der Gruppe, die Advertising machen, Big Data, FinTech. Wir bauen gerade die Banken und Versicherungen der Zukunft auf. Wir können uns noch ganz andere Bereiche vorstellen, solange wir sehen, dass wir als kreative Kraft gebraucht werden. Wo findet gerade ein Wandel statt, den etablierte Organisationen nicht wittern oder auf den sie zu langsam reagieren? Es werden noch viele Felder hinzukommen, auf denen wir unsere Digitalkompetenz und unsere Datenkompetenz beweisen können.

(DE) „Wir nehmen nur Künstler unter Vertrag, von denen wir glauben, dass sie eine Vision haben. Das Echte braucht Leidenschaft.“
– Michael Reinboth

(DE) Reinboth: Bei uns kam der Sprung mit der Gründung des Labels Compost Records. Inzwischen haben wir sieben oder acht Sub- Labels mit unterschiedlicher Musik. Ich bin stolz darauf, dass wir seit 20 Jahren dieses Label machen. Viele andere sind durch die illegalen Downloads untergegangen.

Beckers: Jetzt geht es langsam wieder aufwärts, oder?

Reinboth: Ja, aber Musik ist ein schnelllebiges Medium, in dem man sich alle paar Monate erneuern muss. Das läuft auch wieder über die gute alte Schallplatte. Manches gibt es sogar ausschließlich als Vinyl. Und die kosten in limitierter Auflage 80, 90 oder 120 Euro das Stück.

Beckers: Und wie viele verkauft man davon?

Reinboth: Um die 500. Früher haben wir 5 000 bis 12 000 Maxis verkauft, dann brach das Geschäft ein. Jetzt sind wir beim Streaming angelangt. Die Umsätze sind katastrophal. Aber wenn man ein paar Künstler hat, die erfolgreich bei Streaming-Portalen sind, geht es. Heute machen Downloads schon 40 Prozent unseres Umsatzes aus, die Hälfte davon
als Stream.

(DE) Beckers: Empfindest du dich eher als Musiker oder als Unternehmer?

Reinboth: Ich weigere mich, alle unsere Projekte kaufmännisch durchzuplanen. Dafür habe
ich einen sehr guten Mitarbeiter.

Beckers: Da bin ich anders. Ich bin Unternehmer durch und durch. Wirtschaft hat mich schon sehr früh interessiert. Mit 15 habe ich meine Eltern dazu überredet, meine Führerscheinersparnisse in Electronic Arts zu investieren. Mit 20 Jahren habe ich meine erste Firma gegründet und mit 22 das erste digitale Unternehmen. Im Internet wachsen Unternehmen einfach schneller. Man erreicht große Zielgruppen und hat mehr Impact. Deswegen bin ich heute noch gern Internetunternehmer. Bisher waren alle Firmen, die ich aufgebaut habe, auch schnell und erfolgreich.

Reinboth: Davor habe ich großen Respekt. So einen wie dich hätte ich in meiner Firma gebrauchen können! Wahrscheinlich wollen viele junge Leute zu euch?

Beckers: Ja, wir bekommen etwa 1 200 Bewerbungen im Monat und können uns die besten 20 herausfiltern. Smart sind sie eigentlich alle, die bei uns zum Vorstellungsgespräch antreten. Doch wir müssen das Gefühl haben: Der ist so neugierig und so ehrgeizig wie wir.

Reinboth: Auch wir nehmen nur Künstler unter Vertrag, von denen wir glauben, dass sie eine Vision haben. Denn wenn du mit Musik wirklich viel Geld verdienen willst, dann ist es besser, du machst irgendeinen kommerziellen Mist. Nein, das Echte braucht Leidenschaft.

Beckers: Wie entsteht denn Neues in deinem Bereich? Ich denke da an den Jazz mit seiner Mischung aus Regeln und Improvisation.

Reinboth: Manche Künstler sagen: Der Jazz ist die Mutter, von der man am meisten lernen kann. Er stand auch bei unserem Label Pate. Jazz hat ein starkes Image, das uns heute noch nützt. Das andere ist die Freiheit der Improvisation. Alte Elemente werden mit neuen Beats angereichert, man setzt sich über die klassische Songstruktur hinweg. Heute braucht man dafür keine Combo mehr. Du kannst im Bedroom- Studio einen richtig krassen Jazz produzieren – „Eremitenjazz“ nenne ich das.

(DE) „ Situatives Scheitern akzeptiere ich, Scheitern auf der ganzen Linie nicht.“
– Jan Beckers

(DE) Beckers: Die Mischung aus Freiheit und Regeln sehe ich bei den Innovationen des Unternehmers auch. Es bedarf einer gewissen Freiheit, Neues zu wagen. Wenn man viele Leute hat, funktioniert das nur mit kulturellen Regeln. Geglückte Innovation ist meistens eine Mischung. Man hat die Regeln verstanden, bricht sie aber um einer technischen Neuerung willen, die es einem ermöglicht, das alte Geschäftsmodell besser und zielgruppengerechter zu definieren. Doch Innovation ist nicht gleich Erfolg. Als wir HitFox gestartet haben, hat das erste Geschäftsmodell nicht funktioniert. Sind wir deswegen gescheitert? Nein. Wir haben das Geschäftsmodell gedreht und neu definiert.

Reinboth: Wie wichtig ist dabei Geschwindigkeit?

Beckers: Extrem wichtig. Wenn du ein modernes Digitalunternehmen aufbaust und nicht schnell bist, kannst du einpacken. Wir bewegen uns ja auf globalen Märkten. Die HitFox Group macht nur noch 15 Prozent ihres Umsatzes in Deutschland. Wir konkurrieren mit dem Silicon Valley und mit Asien. Das ist eine Branche, in der man sich nicht lange ausruhen darf. Wir arbeiten für viele der mehr als 500 Spielefirmen weltweit, die ihre Spiele über uns in Hunderte Länder vertreiben.

Reinboth: Auch unser Material ist im letzten Winkel der Erde verfügbar. Wenn wir morgen etwas bei iTunes hochladen, erreichen wir auch den DJ in Madagaskar. Aber wir müssen unsere Stammkundschaft halten und gleichzeitig junges Publikum erreichen.

Beckers: Besteht in der Musik nicht die Gefahr, aus aktuellen Trends herauszuwachsen und von den Jugendlichen vergessen zu werden?

Reinboth: So empfinde ich es nicht. Wichtig ist, dass deine Passion den Zeitgeist erfasst. Einen Tag in der Woche setze ich mich hin, höre neue Sachen an und frage mich: Wer ist gerade angesagt?

Beckers: Das ist bestimmt dein Lieblingsarbeitstag.

(DE) Entrepreneur by EY, EY
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