Alexander Birken, Vorstandsvorsitzender der Otto Group und der Cellist Jan Vogler fanden zu einem Salongespräch über die Kraft der Musik und den Dialog zwischen Kunst und Unternehmen zusammen. „Kann Musik die Welt retten?“, lautete die Eingangsfrage. Auch wenn die Gesprächspartner die definitive Antwort darauf naturgemäß schuldig blieben – ein inspirierender Abend war es in jedem Fall.
„Diese Kinder wachsen auf in dem Gefühl, dass niemand sie will, dass sie nichts können, dass nichts aus ihnen wird – und dass sie arbeitslos werden, so wie die meisten ihrer Väter.“ Alexander Birken wird nie vergessen, was ihm der Leiter eines Arbeitsamtes mit auf den Weg gab, als er sich vor gut zehn Jahren an die Gründung des Projekts „The Young ClassX“ begab. Dann erst Recht, dachte sich der Vorstandsvorsitzende der Otto Group damals. Heute erzählt das Music-Education-Projekt des Unternehmens, das bislang mehr als 10000 Hamburger Kinder und Jugendliche an Musik herangeführt und zum Musizieren ermuntert hat, eine ganz andere, eine hoffnungsfrohe Geschichte, vor allem aus der Perspektive jener Teilnehmer, die zuvor kaum Kontakt zur Musik hatten und daheim keinerlei Förderung erhielten. „Sie erleben dann, wie so ein Kind bei einem Konzert vor 500 Zuschauern nach vorn tritt, ein kurzes Solo singt und Szenenapplaus bekommt“, erzählt Alexander Birken. „Es ist unglaublich, was so ein Moment mit diesem Kind macht, wie sehr ein junger Mensch durch ein solches Erlebnis wachsen kann.“
Neben dem Chef der Otto Group sitzt ein Mann, der sehr zu schätzen weiß, was Applaus für eine musikalische Darbietung bedeutet – auch wenn das „Da Capo“ für ihn schon fast der Normalfall geworden ist: Jan Vogler, Cellist von Weltruf, dem die FAZ die Gabe attestiert, „sein Cello wie eine Singstimme sprechen zu lassen“. Der CEO der Otto Group und der gefeierte Meister des Cellos haben sich an einem Novemberabend in der Hamburger Otto-Zentrale zu einem Salongespräch im Rahmen der neuen Veranstaltungsreihe „Wirtschaft im Dialog“ zusammengefunden, ein Gedankenaustausch über die persönlichkeitsprägende und gesellschaftsverändernde Kraft der Musik, die Brücken schlägt über Kulturen, Epochen und Moden hinweg, aber auch über das Verhältnis von Kunst und Unternehmertum, das Verbindende in einer Gesellschaft, die angesichts enormer Herausforderungen neu lernen muss, miteinander zu reden.
„Wir sind momentan in einer Republik unterwegs, wo sich vieles um Abgrenzung dreht. Dadurch verlieren wir an Dialogfähigkeit und Diskursfähigkeit.“
– Alexander Birken
Ein spannender Perspektivwechsel – finden beide Dialogpartner und sind gleich per Du. Die Musik baut die Brücke. Natürlich hört Jan Vogler gern, dass den Unternehmensführer die Passion für klassische Musik begleitet, seit er als Achtjähriger bei einem Nachbarsjungen Beethoven gehört hat. Da war etwas entflammt, erzählt Alexander Birken: „Das war so großartig, dass ich mir zum nächsten Geburtstag gleich Beethovens Neunte gewünscht habe.“
Jan Vogler wiederum begegnet klassischer Musik mitunter in Situationen, in denen man es nicht unbedingt erwarten würde. In New York beispielsweise, seit einigen Jahren Hauptwohnsitz des Cellisten, im Taxi auf dem Weg zum Flughafen. Warum hören so viele Taxifahrer bei der Arbeit Mozart, Bach und Schubert, wollte Vogler wissen. „Der Verkehr in dieser Stadt ist so total verrückt“, erhielt er kürzlich zur Antwort, „wenn ich diese Musik höre, kann mich wieder sammeln, klare Gedanken fassen und mich wieder konzentrieren.“
„Dank Spotify kennen heute weltweit so viele Menschen den Namen Beethoven wie nie zuvor. Diese Chance müssen wir nutzen. Das wir eine Menschheit sind, die den gleichen Planeten teilt, dass wir die Probleme miteinander lösen müssen. Da ist Musik eine wunderbare Brücke.“
– Jan Vogler
Musik taucht den Menschen jedoch nicht nur in Stimmungen, sie kann ihn auch antreiben und verändern. Alexander Birken beobachtet den Einfluss auf Persönlichkeitsentwicklung, Kreativität und Empathie immer wieder bei Kindern und Jugendlichen aus „The Young ClassX“. Manchmal trifft er Schüler, die vor sieben oder acht Jahren mit dem Musizieren begonnen haben. „Das war die bisher schönste Zeit meines Lebens“, ist ein Satz, den er nicht nur einmal gehört hat. Ein Schulleiter erzählte ihm kürzlich, dass die heitere, gelöste Gestimmtheit nicht im Proberaum eingeschlossen bleibt. „Das überträgt sich auf das Verhalten der Kinder auf dem Schulhof“, sagte er. Und vielleicht ja sogar auf die mitunter raue Welt draußen, jenseits des Schultores.
„Musik ist unglaublich kraftvoll, sie kann sehr viel Energie freisetzen, sehr viel verbinden. Wirtschaftsmenschen interessieren mich eigentlich nicht so sehr. Viel mehr interessieren mich Menschen, die in ganz anderen Bereichen unterwegs sind, Künstler beispielsweise.“
– Alexander Birken
Der nächste gedankliche Sprung führte weiter – nicht auf die Straße vor der Schule, sondern in jene Sphären der Gesellschaft, wo Unternehmenswelt und Kultur sich befruchten und voneinander profitieren können. Was kann man in aufgewühlten Zeiten wie diesen von- und miteinander lernen, anstoßen, bewegen, verändern?
Vom Geist der Kooperation, von wirklicher Interdisziplinarität sei man derzeit leider noch ein gutes Stück entfernt, analysiert Alexander Birken. „Wir sind momentan in einer Republik unterwegs, wo sich vieles um Abgrenzung dreht“, sagt er, „und pochen etwas zu sehr auf Unabhängigkeit, auf die künstlerische Freiheit beispielsweise oder auf die Freiheit der Forschung von der Wirtschaft.“ Kunst und Wissenschaft, so Birken, seien zu oft darauf bedacht, sich nicht von der Wirtschaft vereinnahmen zu lassen. Doch dadurch, so Birken, „verlieren wir an Dialogfähigkeit und Diskursfähigkeit. Wir müssen viel mehr ins Gespräch kommen“ – die Unternehmen beispielsweise mit NGO’s, Politikern, Künstlern und Wissenschaftlern. Angesichts dessen, „was an Digitalisierung aus Amerika zu uns herüberschwappt“, sei Kooperation geradezu eine Überlebensfrage geworden. „Das hat eine Kraft und Intensität, da geht es für viele Unternehmen um die blanke Existenz.“
„Kinder und Jugendliche, die Musik machen, sind im Umgang sensibler und es fällt ihnen leichter, an andere Kinder anzudocken.“
– Jan Vogler
Jan Vogler nimmt das Argument gleich auf: „Wenn es eine Brücke gibt, dann ist das die Musik“, ist er überzeugt. Nun gelte es zu überlegen: „Wie kann man diese Hängebrücke verankern und wie kann man drüberlaufen?“ Hier finden die Gedanken der beiden Dialogpartner, beide im Jahr 1964 geboren, wieder zusammen. „Nichts ist besser als Musik geeignet, Beziehungen zu stiften“, so Alexander Birken. „Das ist das Schöne, das Wunderbare an Musik. Und letztlich geht es im Kern immer um Beziehungen – egal ob in der Politik, in der Kunst oder im Unternehmen. Alles andere ist irrelevant.“
Welche kreative Kraft allein die Beziehung zwischen zwei Menschen entfesseln kann, erlebte Jan Vogler erst neulich. Er hatte den „Gitarrengott“ Eric Clapton in London kennengelernt und spontan zu den Dresdner Musikfestspielen eingeladen – traditionell eine heilige Feierstätte der klassischen Musik. Die Gitarrenlegende kam in die sächsische Hauptstadt – und beide, Seit‘ an Seit‘, Vogler auf dem Cello, „Slowhand“ auf der akustischen Gitarre, spielten Claptons Klassiker „Layla“. Wer dabei war, wird den Abend nicht vergessen.
„Kann Musik die Welt retten?“, lautete die Eingangsfrage zu diesem Salongespräch. „Im Alleingang sicher nicht“, resümierte Jan Vogler. „Aber ich glaube, dass sie viel mehr vermag als ihr zugetraut wird.“ Musik sei so unglaublich kraftvoll, ergänzte Alexander Birken, „sie kann so viel Energie freisetzen. Wir müssen nur rausgehen, uns trauen und die Jalousien hochziehen.“