Eine neue Kultur der Teilhabe

Ólafur Elíasson (Künstler) und Alexander Ljung (Start-up-Entrepreneur), 2014

Alexander Ljung und Ólafur Elíasson trafen sich in Elíassons Atelier in Berlin. Der Künstler hat eine ehemalige Brauerei in Prenzlauer Berg zu einem beeindruckenden Studio umgebaut; eine Mischung aus Werkstatt und Labor, in dem seine großformatigen, technisch wie künstlerisch anspruchsvollen Objekte und Installationen entstehen. Die Geräusche der künstlerischen Arbeit von Elíassons Team hallten auch während seines Gesprächs mit dem Gründer des Vorzeige-Start-ups SoundCloud durch das Gebäude und kollidierten gelegentlich mit den Worten. Etwaige Verständigungsschwierigkeiten beschränkten sich aber rein auf das Akustische, denn Elíasson und Ljung hatten sich viel zu sagen – zu den Verbindungen zwischen Kunst, Technologie und neuen Medien, über die Lust am Experimentieren und weshalb bestimmte Orte dabei besonders inspirierend wirken. Und warum sowohl die Kunst als auch das Geschäft nicht nur um ihrer selbst willen betrieben werden, sondern einen höheren Zweck verfolgen sollten.

Alexander Ljung: Interessant, nicht wahr, dass wir zwei Skandinavier uns ausgerechnet hier in Berlin treffen. Was hat dich hierher gezogen, Ólafur?

Ólafur Elíasson: Ich bin jetzt 20 Jahre hier, ich habe also fast die Hälfte meines Lebens in dieser Stadt verbracht. Am naheliegendsten wäre wohl der Verweis auf Berlins lebendige künstlerische und kreative Szene … Aber ich würde gern ein bisschen tiefer gehen: Wie wirkt sich eine dynamische Community wie diese eigentlich in der Praxis aus, und warum spielt das für mich als Künstler eine Rolle? Historisch gesehen ist Berlin in der modernen Geschichte bislang der einzige Ort der Welt, wo eine vergleichbare Situation wie die heutige schon früher einmal bestanden hat. Vor ungefähr 100 Jahren herrschte in dieser Stadt eine ähnliche kreative Dichte wie jetzt. Natürlich hat es auch anderswo Höhepunkte gegeben, zum Beispiel im Paris der zwanziger Jahre oder im New York der Siebziger, aber die Ballung von Kreativität hier in Berlin ist heute ebenso beispiellos wie vor 100 Jahren. Eine solche Fülle ist ein idealer Nährboden für Experimente und Kreativität. Hier findet man Hunderte Antworten auf jede Art von künstlerischer Herausforderung. Und wenn an einem Ort eine Menge Talent versammelt ist, fördert das auch die Qualität.

„Ob Kritik oder Lob – worauf es ankommt, ist, dass die Leute Anteil nehmen.“
– Alexander Ljung

Ljung: Mich hat vor allem die einzigartige Verknüpfung von Kunst, Technologie und Medientheorie fasziniert, die wir so nur in Berlin gefunden haben. Hier gibt es Leute, die interaktive Installationen schaffen, andere experimentieren mit Schnittstellen zwischen Technologie und Kunst, wieder andere gehen die Dinge aus rein künstlerischer Sicht an. Als wir mit SoundCloud noch in Stockholm waren, fand sich zu sehr spezifischen technischen oder musikalischen Fragen oft jemand in Berlin, der genau an dem betreffenden Thema arbeitete.
Die Entscheidung, unser Unternehmen hier anzusiedeln, fiel aber trotzdem sehr spontan. Zum Teil gab die Stadt selbst den Ausschlag, zum Teil die schiere Fülle von Künstlern und kreativ Tätigen. Hier gab und gibt es eine besondere Stimmung, eine Art Gegenkultur mit sehr viel Freiraum, in dem jeder seine eigenen Vorstellungen realisieren kann. Die geografische Lage war uns gar nicht so wichtig. Wir standen ganz am Anfang mit unserer Idee, dass im Internet etwas sehr Entscheidendes fehlte, und wir hatten beschlossen, diese Lücke zu schließen. Dabei hatten wir das Gefühl, dass uns das in Berlin leichter fallen würde. Wie sah es denn vor 20 Jahren aus, als du hierher gezogen bist?

Elíasson: Damals zog es viele Leute hierher, es herrschte Aufbruchsstimmung. Berlin bot viel offenen Raum, viele Dinge hatten noch keine Gestalt – oder zumindest keine endgültige – angenommen. Die Stadt bestand sozusagen mehr aus den Lücken zwischen Räumen als aus definierten Räumen selbst. Die Leute waren nicht nur damit beschäftigt, ihre Positionen und ihre Identität zu klären, sondern auch den Kontext, in dem das passieren sollte. Der Mangel an Zweckbestimmtheit des öffentlichen Raums zum Beispiel ließ sehr unterschiedliche Auslegungen zu: Können wir diesen Abschnitt des Bürgersteigs nicht einfach in eine Galerie verwandeln oder in ein Theater oder den Schauplatz für ein kleines Poesiefestival? Plötzlich hatte man eine Situation, in der Straße und Künstleratelier verschmolzen und der Begriff öffentlicher Raum nicht nur Zugänglichkeit bedeutete, sondern gedanklich ganz neu belegt wurde. Diese äußere Gestaltungsfreiheit schuf eine Atmosphäre, in der sich Literatur, Theater, darstellende Kunst, Sprachkünste wie Poesie oder Gesang und Künstler auf Augenhöhe begegneten. Für junge Leute war das eine höchst lehrreiche Erfahrung, zumal in den frühen neunziger Jahren noch die Krise der späten Achtziger nachklang, als der Kunstmarkt in London, New York, Paris und anderswo zusammengebrochen war. Kreativität musste danach ohne kommerzielle Plattformen auskommen, und hier in Berlin zeigte sich, dass sie es auch sehr gut konnte. Die Aufhebung aller Grenzen wirkte auf jeden Fall sehr befreiend. Gleichzeitig bedeutete sie aber auch eine Herausforderung, denn Grenzen sind als Grundlage kontextbezogener Sprache unverzichtbar. Den Künstlern wurde folglich einiges abverlangt.

Ljung: Ich glaube, das spürt man in Berlin heute noch. Die Aufhebung von Grenzen wirkt befreiend und belastend zugleich; vor allem, wenn man versucht, etwas Neues zu schaffen. Für mich zumindest ist Grenzenlosigkeit eine echte Herausforderung. Das gilt auch für den Gedanken von offenem oder nicht definiertem Raum. Prinzipiell kann also jeder diesen Raum beanspruchen; erst recht, wenn er keine erkennbaren physischen Grenzen hat, wie das im Internet ja der Fall ist. Ich habe erlebt, wie andere Unternehmen, insbesondere Start-ups, dabei auf Irrwege geraten sind. Denn die grenzenlose Freiheit, alles zu denken und auszuprobieren, führt bei manchen dazu, dass sie den Kontakt mit dem Rest der Welt verlieren und sich in ihren eigenen Ideen verstricken. Im Vergleich dazu ist man zum Beispiel in San Francisco, wo ich einen Teil des Jahres verbringe, viel mehr darauf bedacht, die praktische Anwendbarkeit der eigenen Entwicklungen zu berücksichtigen und über den Nutzen für möglichst viele Menschen nachzudenken. Das vermisse ich hier manchmal. Wie gelingt denn dir die Balance zwischen absoluter Freiheit und Fokussierung im kreativen Schaffensprozess? Diese Frage stellt sich für uns beide vermutlich ziemlich unterschiedlich dar.

„Heutzutage gibt es in der Welt viele Räume, die man mit anderen teilen kann.“
– Ólafur Elíasson

Elíasson: Da bin ich mir nicht so sicher. Zwischen Denken und Handeln liegt ein Weg, genauer gesagt ein Prozess, der vom ersten Aufgreifen eines Gedankens, einer Idee, einer Vorstellung, eines Gefühls oder auch einer rein intuitiven Empfindung bis zur konkreten Umsetzung führt. Der Kompass, der dich dabei leitet, wird in erheblichem Maße von deinem sozialen Beziehungsgeflecht oder Empfinden beeinflusst und von den Werten, die dich leiten, etwas Bestimmtes zu tun – das Verhältnis zwischen Denken und Tun wird also in jeder Hinsicht von den eigenen Wertvorstellungen gesteuert. Und besonders in Berlin haben wir eine relativ starke, robuste Beziehung zur akademischen Welt, etwa zu den Sozialwissenschaften.
Du hast also eine Wissensgrundlage, dazu einen Einfall, den du umsetzen möchtest, gepaart mit dem, was ich als eine ausgeprägt humanistische Agenda bezeichnen würde. Eine solche Handlungsmaxime lässt sich, glaube ich, auf viele Bereiche anwenden.

Connecting Leaders, Egon Zehnder
Das gesamte Interview als PDF zum Download